In der Grundschule habe ich vor mehr als 40 Jahren Wörter kennengelernt. "Tu-Wörter", "Wie-Wörter", „Hauptwörter“..., die werden großgeschrieben, deswegen heißen sie Hauptwörter.
Als kleine Lernhilfe bekamen wir den Hinweis, dass man Hauptwörter anfassen kann.
Glück, Hoffnung, Zeit.
Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind versuchte, diese Tatsache zu verstehen. Ich behauptete also „Ich kann aber rot anfassen“ und berührte meinen Pullover.
Meine Lehrerin, lächelte mit schiefgelegtem Kopf und sagte: „Nun fasst du deinen Pullover an.“ Ok, das stimmte. Also nahm ich einen Buntstift in die Hand und sagte „Aber jetzt fasse ich rot an.“ „Jetzt fasst du den Stift an.“ erklärte meine Lehrerin.
Ich versuchte also noch dichter an die Farbe heranzukommen und nahm einen letzten Anlauf: „Wenn ich rote Farbe anfasse, dann fasse ich rot an.“ Nein auch nicht, „dann fasst du die Farbe an.“ Darüber musste ich nachdenken.
In den kommenden 40 Jahren habe ich immer wieder – mal mehr, mal weniger – mit Farben beschäftigt.
Im Kunst-Unterricht oder im Kurs „Color Awareness“ vom London Art College wurden Farben ganz klassisch erklärt: Farbkreis, Komplementärfarben, warme Farben, kalte Farben.
Ich lernte immer mehr und die Unsicherheit über Farben wurde immer größer.
Bei einer Ausbildung bei Ulrike Hirsch habe ich Farben auf eine neue Art kennengelernt, ich habe die Wesen der Farbe getroffen und sie verstanden.
So sind „Blau“ und „Rot“ entstanden. Großgeschrieben.
Das blaue Porträt entstand intuitiv, ich wollte blau malen und habe gewartete, was passiert.
Das Wesen zeigte sich ruhig und entspannt, und sie hatte einen Begleiter dabei, der ganz am Ende auftauchte. Leise und sehr sanft, das blaue Bild war eine Abkühlung in unserem heißen Sommer.
Als es fertig war, machte mein Mann den Vorschlag, das gleiche Motiv noch einmal zu malen, in rot.
Rot ist warm und feurig, das steht überall und jeder weiß das.
Wissen und spüren sind zwei verschiedene Dinge. Beim Malen des roten Bildes herrschte eine ganz andere Energie.
Während Blau langsam kam und ruhig, zeigte sich Rot sofort sehr präsent und kraftvoll. Es war sehr energiegeladen, das rote Wesen wollte sich energisch zeigen. Und auch der Begleiter von Rot ist dynamisch und breitet seine Schwingen aus.
Blau wollte gar nicht mit mir kommunizieren, es wollte nur einfach da sein in seiner blauen Welt und in der kühlen Ruhe. Seinen Platz auf der Leinwand einnehmen, so wie es seinen Platz in der Welt hat.
Rot zeigte sich kompromisslos rot, dominant, kräftig und warm, fast heiß. Und auch Rot hat seinen Platz in der Welt, ebenso sicher wie auf der Leinwand.
Die beiden Bilder zeigen mir deutlich, dass es so viele unterschiedliche Qualitäten gibt, die nebeneinander bestehen können. Und beide sind sich ihrer Sache sehr sicher und zweifeln nicht an sich. Die Welt könnte genau so wenig ohne rot auskommen wie ohne blau. Keine ist besser oder schlechter, nur einfach ganz anders.
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